Kiel – "Ich spiele meine Rock-Chansons an den
Klavieren von Fresenhagen bis Bad Säckingen. Und wenn Sie wollen an sämtlichen
Klavieren vom Südpol bis zum Nordpol." Ein heißer Sonntagabend legt sich
sanft über die Lutherstraße, wo zwischen städtischem Grün und urbanem
Altstadtfeeling das Prinz Willy seine Tür geöffnet hält, damit auch jene, die
draußen sitzen, einen Künstler namens Sven Panne goutieren können.
Fresenhagen, jener Bauernhof in norddeutschen Gefilden, wird
in seiner Symbolik als Zentrum des Schaffens der einstigen Revoluzzer-Combo Ton
Steine Scherben einmal mehr zum Programm für den Mann mit der
Rio-Reiser-Stimme. Sven Pannes Lieder atmen den Geist jener Siebziger- und
Achtziger-Harmonieführungen, wenn auch textlich der Hang zum Politischen
überwiegend fehlt und an seine Stelle eine interessante Mischung aus
Unbeschwertheit und Melancholie tritt. Alltagsgeschichten erheitern,
Momentaufnahmen der Gefühle dieses Mannes – der auf Eintritt verzichtet und
später lieber "den Hut kreisen lassen will, auf dass es raschelt und nicht
klimpert" – regen zum Nachdenken an.
An seiner Seite und auch mal solo agiert der Nürnberger Gymmick alias Tobias
Hacker; immerhin es die "Panne-Gymmick"-Minitour, und wenn der Mann
mit der Gitarre von zahnlosen Transvestiten singt, die ihm den letzten
Cannabis-Krümel abschnorren, dabei fragt: "Was ist mit nur dem V.I.P.-Bereich
geschehen?" zu wohlgesetzter Moll-Harmonik, ist das ganz modernes
Songwriter-Kino. Der Schalk sitzt dem Mann im Nacken, mit Flunsch und großen
Augen stimmt er "Suizid bei süßen Tieren" zur Melodie der
Vogelhochzeit an, was fast schon einem Helge Schneider zur Ehre gereicht:
"Der Elch zieht an der Kippe und stürzt sich von der Klippe, fiderallala,
fiderallala . . ."
Doch da sind auch ernste Momente, wenn Panne und Gymmick gemeinsam musizieren,
mittendrin Instrumente, Zigaretten und Getränke tauschen. Dann findet Panne
wunderbare Metaphern für das Grau des Alltags, dient Gymmick ein geschmackloser
Lampenschirm als Troubadouren-Kappe und beide wirken, als zelebrierten sie vor
großem Publikum Groteskes und Grandioses. Pannes Beine treten und zucken unter
dem Piano, werden mit der Reibeisenstimme zum Ausdruck charmanten Souls,
während er mit einem Neuankömmling, der im Türrahmen stehen bleibt,
Augenkontakt aufnimmt und ihn hypnotisch zur nächsten Sitzgelegenheit zwingt.
Zwei Stunden liefern Panne und Gymmick ein kurzweiliges Programm. Überaus
überraschend.
Von Carsten Purfürst
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